Im finsteren Dezember fügte es sich, dass ich mich zwei Mal nacheinander in einem Fernbus fand. Das eine war eine Nachtfahrt von 16 Stunden, quer durch Europa, inmitten von Reisenden mit überwiegend dunkel pigmentierter Haut. Das andere war eine Ausflugsfahrt bei Tage, mit deutschen Eurokraten.
Das klingt nach einem billigen Vergleich. Zufällig verbrachte ich aber mit beiden Gruppen gleich viel Zeit.
Die Nachtfahrt, veranstaltet von Eurolines, brachte mich von Bratislava nach Brüssel. Zusammenfassung: Brrr! Ich stieg im Dunkeln ein, um 18 Uhr. Die Fahrt führte vom frühen Nachteinbruch des Ostens in den späten Taganbruch des Westens. Wir trieben immer tiefer in die feuchtneblige Winternacht hinein.
Niemand drehte die Leselichter auf. Im Bus befanden sich slowakische Roma, Alleinreisende von weither, zwei Inder, einige Arbeitsmigranten wohl. Vor mir saß unter Kapuzen ein wortkarg verliebtes Paar, er Slowake, sie Russin aus Kasachstan.
In Wien stieg eine junge Blondine ein. Sie setzte sich hinter mich. Sie hatte viele niedliche Taschen dabei und trug den Geruch von Zimt herein. Ich war überzeugt, die Hübsche mit dem Püppchen-Gesicht hatte ihren Weihnachtseinkauf mit Glühwein beschlossen.
Die Nacht wurde stiller. Ich konnte noch nicht schlafen und verwickelte die Blonde in ein Gespräch. Sie war Ungarin. Sie hieß wie die letzte Kaiserin von Österreich-Ungarn, nur mit o. Sie war Kosmetikerin, 31, und Zitos Zimtduft ging auf den Gebrauch ätherischer Öle zurück.
Sie sprach Deutsch mit Ässbästäck-Akzent, auf die Mehrzahl meiner Aussagen antwortete sie: „Wow!“ Sie hatte sieben Jahre in Brüssel gelebt, „sieben magere Jahre“. Ungeachtet dessen, was sie Ungarns „Kollaps“ nannte, war sie nach Budapest zurückgekehrt. Wir kamen bald auf die großen Themen. Mit ihrem französischen Freund war es aus. Sie erklärte ungeniert, dass ihr ein neuer Mann gelegen käme.
Der Bus hielt vor einem österreichischen Autobahnrestaurant. Wir setzten uns an die Bar, mit bangem Blick auf die Uhr. Ich erwähnte, dass wir uns zufällig in der Gegend befanden, in der ich aufgewachsen war. „Wenn wir also den Bus verpassen“, sagte Zito, „dann wäre das ein Zeichen Gottes?“ – „Du meinst“, entgegnete ich, „dann könnte ich dich gleich Mama vorstellen?“ Sie formte ihre frisch nachgeschminkten Lippen zu einem Lächeln. Mein Bein wurde von ihrem Knie gestreift.
Zurück im dunklen Bus, es wurde kälter. Die anderen waren vorbereitet, Zito hatte eine Decke dabei. „Deck dich mit deinem Mantel zu!“, sagte sie und gab mir ihr nierenförmiges Reisekissen. Wir schliefen, das große Deutschland war finster. Zitos Kissen half mir durch die Nacht.
Die Ausflugsfahrt bei Tage, veranstaltet von der Europa-Union, ging von Brüssel in die ostbelgische Provinz. Zito hatte nicht gewusst, dass die EU Kommissare hat, meine neuen Gefährten wussten das zu gut. Sie arbeiteten für die Kommission und für deutsche Vertretungen in Brüssel. Eine war Praktikantin bei der „Fernwärme-Lobby“. „Was braucht die Fernwärme eine Lobby?“, fragte ich sie. „Erst einmal, damit man weiß, dass es die Fernwärme gibt.“
Die heitere Reiseleiterin verteilte mehrmals Lebkuchen, ganz so persönlich wurde es aber nicht. Man sprach über Flugverbindungen und davon, dass der Lissabon-Vertrag für Volksabstimmungen nicht geeignet sei.
Es fügte sich, dass eine blonde Ungarin im Bus war, wenn auch mit akzentfreiem Deutsch. Als die Rede auf Weihnachtsgeschenke kam, entschlüpfte ihr der Satz: „Frauen freuen sich sowieso über jedes Geschenk.“ Die anderen reagierten erstaunt. Sie errötete. Das war der intimste Moment.
Nun ja, es ist ein billiger Vergleich. Bei Nacht sind deutsche Eurokraten vielleicht genauso zärtlich. Ich fragte Zito nicht um ihre Nummer, und der zweiten Ungarin gab ich kein Geschenk. Ich neige aber mein Haupt vor den busreisenden Ungarinnen dieser Welt.